25.11.2020 – Kategorie: Digitalisierung
Notfallpläne für das Produktionsteam: Die Reaktion der Prozessindustrie auf die Krise

Wie Produktionsteams in der Prozessindustrie durch die Digitalisierung von Kommunikationsprozessen auf die Corona-Krise reagieren können, zeigt das Beispiel bei Eschbach.
Produktionsunternehmen haben zahlreiche Notfallpläne in ihrer Schublade – aber kaum einer dieser Pläne hat eine Pandemie wie die aktuelle Corona-Situation in Betracht gezogen. Die Digitalisierung von Kommunikationsprozessen im Produktionsteam kann hier ein entscheidender Baustein in der neuen Normalität sein. Die effektivste Kommunikationsform ist das persönliche Gespräch. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie war diese Kommunikationsform selbstverständlich.
Social Distancing und der Einfluss von Corona auf die Organisation der Produktionsplanung haben die einst normale Kommunikation zwischen Produktionsteams auf den Kopf gestellt. Auch wenn Unternehmen über Notfallpläne für zahlreiche Situationen verfügen, so hat kaum jemand ein Szenario wie das Coronavirus in Betracht gezogen. Persönliche Besprechungen, Schichtübergaben, KVP- und Lean Meetings oder Frühbesprechungen – nichts konnte wie gewohnt beibehalten werden. Produktionsbetriebe mussten sich schnell anpassen und auf eine „neue Normalität“ einstellen.
Das Konzept zur Reaktion auf die Krise
Die Digitalisierung von Kommunikationsprozessen ist ein entscheidender Baustein in dieser neuen Normalität. Künstliche Intelligenz (KI) wird zu einem immer größeren Faktor und wird in immer mehr Abläufe in Produktionsunternehmen integriert. In den Prozessindustrien wird die künstliche Intelligenz jedoch nur dann ihr volles Potenzial entfalten, wenn menschliche Intelligenz als Teil der Lösung einbezogen wird, insbesondere in Situationen, in denen gefährliche und komplexe Prozesse von hoch qualifizierten und erfahrenen Experten betrieben werden. Für den Betrieb in Prozessanlagen sind drei Bereiche von entscheidender Bedeutung, um auf die Krise zu reagieren:
- Agilität der Produktionsteams: Die Verfügbarkeit von Schichtteams muss sichergestellt und das Infektionsrisiko von Schicht zu Schicht muss eingedämmt werden.
- Remote Team- und Anlagenmanagement: Betriebsleiter und Prozessingenieure müssen aus der Ferne effektiv und effizient arbeiten können.
- Außerordentliche Weisungen und Notfallpläne: Betriebe müssen darauf vorbereitet sein, Ihr Produktionsteam zu verkleinern und Notfallmaßnahmen einzuleiten.
Die richtigen Maßnahmen sind für die Lösung einer Krise von entscheidender Bedeutung. Wenn diese drei Bereiche richtig angegangen werden, sind die Anlagen agiler und nachhaltig belastbarer.
Agilität im Produktionsteam
Das Personal an der Anlage und im Kontrollraum steht an erster Stelle aller Überlegungen. „Social Distancing“ war eine der ersten und wirksamsten Maßnahmen zur Verringerung der Ausbreitung des Virus und zur Eindämmung der Infektionsgefahr von Schicht zu Schicht.
Aufgrund der oft sicherheitskritischen Verfahren in der Prozessindustrie bestehen zahlreiche Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen, die von einer direkten und persönlichen Kommunikation abhängig sind. Zum Beispiel erfordert die Schichtübergabe ein Gespräch. Auch hängen viele Beurteilungen von der interdisziplinären Zusammenarbeit und dem 4-Augen-Prinzip ab – denn hier müssen zwei Personen jede wichtige Entscheidung und Handlung freigeben.
Eindämmen des Infektionsrisikos von Schicht zu Schicht
Die Schichtübergabe ist ein neuralgischer Punkt im Anlagenbetrieb. Informationen werden sowohl schriftlich als auch in mündlicher Form von einer Schicht zu nächsten übertragen, wobei sich über die gesamte Industrie hinweg eine gewisse bewährte Praxis etabliert hat. Der mündliche Informationsaustausch lässt sich am besten in Form eines persönlichen Treffens durchführen.
Aus diesem Grund überschneiden sich im Vollkonti-Betrieb die Schichten in der Regel für 15 bis 30 Minuten, um dem Bedarf an persönlichen Austausch Rechnung zu tragen. Mit dem gegebenen Infektionsrisiko könnte genau diese zeitliche Überschneidung das größte Risiko bedeuten, bei dem sich das Virus zur Sichtübergabe von Kollege zu Kollege weiter verbreitet. Daher muss die persönliche Kommunikation durch ein Telefon- oder Videokonferenz-Gespräch ersetzt werden.
Virtuelle Übergabe im Produktionsteam sinnvoll
Eine durchdachte digitale Lösung kann eine virtuelle Übergabe ermöglichen. Eine solche Lösung muss sicherstellen, dass bei Schichtende und vor dem Verlassen des Kontrollraumes alle notwendigen Informationen eingesammelt wurden und dass all diese Informationen komplett an das folgende Schichtteam übergeben wurden. Ein 360-Grad-Überblick mit allen Ereignissen und Änderungen gewährleistet, dass alle bekannten Informationen erfasst und gespeichert werden. Darüber hinaus müssen Schichtformulare an die Bedürfnisse des Informationstransfers anpassbar sein und Revisionssicherheit der Informationen gegeben sein.
Normalerweise treffen sich beide Schichtleiter am selben Computer. Beim gemeinsamen Blick auf den Bildschirm fällt es den Schichtleitern leichter, Lücken im Protokoll zu erkennen und Informationen nachzutragen. Die Betriebsbedingungen während einer Pandemie bedeuten, dass die Schichtübergabe schon im Vorfeld besser als bisher vorbereitet werden muss.
Ein geeignetes Verfahren im Produktionsteam umfasst die folgenden Schritte:
- Bei der Vorbereitung der Schichtübergabe werden alle notwendigen Informationen schriftlich erfasst.
- Das Schichtteam der vorherigen Schicht verlässt den Kontrollraum und führt alle eventuell vorhandenen Hygienemaßahmen durch, bevor das folgende Schichtteam den Raum betritt.
- Sowohl die vorherige als auch die nachfolgende Schicht stellen sicher, dass es keinen physischen Kontakt gibt – niemals.
- Der synchrone verbale Austausch zwischen den Schichtteams erfolgt entweder per Telefon oder über eine Videokonferenzlösung.
Bei jedem verbalen Austausch sollten sich beide Schichtleiter an dasselbe digitale Protokoll halten und damit eine einzige Quelle und Version als Wahrheit definieren. Dabei kann jeder Mitarbeiter seinen Computer, ein Table-PC oder zumindest einen Ausdruck dieses Protokolls verwenden.
Durchführung der perfekten Schichtübergabe
Vielleicht ist die aktuelle Schicht nach einem langen Arbeitstag erschöpft, während die Folgeschicht gerade nach vier Tagen Pause in den Kontrollraum zurückkehrt und sich nun den Stand des Betriebs bewusst machen muss. Vor dem Hintergrund dieser Szenarien empfehlen Experten, dass eine Übergabe sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen muss. Bei einer Pandemie ist es darüber hinaus besonders zweckdienlich, wenn die schriftlichen Aufzeichnungen in digitaler Form vorliegen.
Das persönliche Gespräch im Produktionsteam bleibt dennoch wichtig, denn die synchrone Kommunikation ermöglicht direkte Rückfragen und stellt gleichzeitig sicher, dass die Botschaften vermittelt werden. Im Rahmen von Social Distancing sollte der Schichtübergabe eine zusätzliche Zeit eingeräumt werden. Dies wird vor allem für Desinfektionsmaßnahmen und das Starten der Übergabe-Videokonferenz benötigt. Das Übergabegespräch per Videotelefonie folgt der Struktur des Übergabeprotokolls. Sowohl die vorherige als auch die Folgeschicht müssen auf ihren Bildschirmen das gleiche Protokoll sehen. Der Mitarbeiter der vorherigen Schicht leitet das Übergabegespräch.
Relevante Diskussionspunkte oder Ereignisse während sollten ebenfalls erfasst und als Zusatzinformation notiert werden. Es ist wichtig, dass die nächste Schicht und auch die Betriebsleitung, die möglicherweise aus der Ferne arbeitet, über alle Vorkommnisse im Bilde sind. Es ist darüber hinaus zu empfehlen, digitale Unterschriften anzufordern, um sicherzustellen, dass die Schichtübergabe ordnungsgemäß durchgeführt wurde.
Erfahren Sie mehr darüber, wie ein Produktionsteam in Corona-Zeiten reagieren sollten, im Whitepaper der eschbach GmbH.
Nachgefragt …
bei Felix Michler, Head of Marketing & Deputy Head of Sales bei Eschbach in Bad Säckingen:
Wie weit sind die Unternehmen in der digitalen Transformation inzwischen gekommen?
Felix Michler: Da ist es schwer, eine allgemeine Aussage zu treffen. Wir in unserem Bereich stellen allerdings fest, dass viele Unternehmen relevante Informationen des Schichtbetriebs immer noch handschriftlich in Büchern oder separaten Excel-Listen festhalten. Darunter leidet die Transparenz und somit auch die Anlagenproduktivität. Durch das Digitalisieren schichtrelevanter Informationen sowie die revisionssichere Dokumentation in einem digitalen Schichtbuch lassen sich Ereignisse von jedem berechtigten Mitarbeiter, egal an welchem Ort, zeitnah einsehen. Wie wichtig das ist, zeigt sich vor allem jetzt, in Zeiten der Covid19-Pandemie.
Welche Hindernisse bestehen zurzeit noch? Und wie kann man die Hürden abbauen beziehungsweise mindern?
Felix Michler: Obwohl die Anlagenprozesse bereits mehrheitlich digital ablaufen, erfolgt die Schichtübergabe in den meisten Fällen noch auf Papier oder auch mündlich. Der gesamte Prozess ist weder durchgängig noch verfügt er über einen hohen Automatisierungsgrad. Das ist paradox, im Vergleich zu den Effizienzgewinnen, die IoT in den letzten Jahren im Produktionsbereich hervorgebracht hat. Man denke nur an das hohe Volumen nicht wiederverwertbarer Daten, das sich daraus ergibt. Viele Werksleiter kommunizieren meist per E-Mail mit ihrem Schichtteam. Die Effektivität des Schichtbetriebs hängt stark von klar definierten und präzisen Informationsflüssen ab.
Auf welche Dinge sollte man aus Sicht von eschbach bei der Umsetzung einer unternehmensweiten Digitalisierung achten?
Felix Michler: Im Bereich Prozessindustrie ist der Aufbau eines effektiven Wissensmanagement derzeit das Maß aller Dinge. In keinem anderen Bereich laufen so viele produktionsrelevanten Daten zusammen wie im Schichtbetrieb. Deshalb sollte unbedingt auch bei der Schichtkommunikation von einem seitenbasierten Ansatz zu einem datensatzorientierten Ansatz gewechselt werden, der in der Softwarelösung zur Schichtübergabe implementiert werden kann.
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