07.07.2023 – Kategorie: Komponenten & Systeme, Technologie

Funktionale Sicherheit beim Anlagenumbau

Funktionale SicherheitQuelle: Dr. Willmar Schwabe

Bei komplexen Anlagen oder Anlagenteilen kann es eine Herausforderung sein, die nötigen Schutzfunktionen zu garantieren. Wie ein Lösungsansatz in solchen Fällen aussehen kann, zeigt die Migration einer Umlauf-Flashverdampferanlage beim Spezialisten für pflanzliche Arzneimittel Dr. Willmar Schwabe in Karlsruhe-Durlach.

Dr. Willmar Schwabe versteht sich als Weltmarktführer bei der Forschung, Entwicklung und Herstellung pflanzlicher Arzneimittel, sogenannter Phytopharmaka. Das 1866 als „Fabrikationsstätte für die Zubereitung von Arzneimitteln“ in Leipzig gegründete Unternehmen ist heute eine weltweit agierende Gruppe mit Hauptsitz in Karlsruhe-Durlach. Hier findet sich neben der Firma Schwabe auch die Schwabe Extracta, die Wirkstoffe aus Pflanzen gewinnt. Herzstück eine dafür eingesetzten Extraktionsanlage ist eine Umlauf-Flashverdampferanlage, mit der pflanzliche Extrakte eingedampft werden. In der 1997 errichteten Anlage wurde die Automatisierung viele Jahre von einer „Siemens S5“ gesteuert, die jüngst durch eine „Siemens S7“-Steuerung ersetzt werden sollte.

Wenn funktionale Sicherheit erforderlich wird

Dass sich Anlagenbetreiber mit Fragen der funktionalen Sicherheit beschäftigen müssen, kann verschiedene Gründe haben: So sind solche Fragen beim Neubau einer Anlage zu klären. Für bestehende Anlagen jedoch, die keiner Revision unterlagen, gilt in der Regel der „Bestandsschutz“ auf Vorschriften, die zum Zeitpunkt des Anlagenbaus gültig waren. Wird die Anlage jedoch modifiziert, entfällt dieser Bestandsschutz und die von der Anlage ausgehenden Risiken müssen neu betrachtet werden. Andere Auslöser können sein, dass in der Anlage Probleme auftraten, Altanlagen wieder in Betrieb genommen werden sollen oder Unregelmäßigkeiten bei der Prüfung durch eine ZÜS (zugelassene Überwachungsstelle) zu verzeichnen waren.

Auch bei Schwabe fiel die Umlauf-Flashverdampferanlage zunächst unter Bestandsschutz. Als sich dann aber die Ersatzteilbeschaffung als schwierig erwies, wurde ein Umbau nötig. Marc Ehrentraut, Functional Safety Manager bei Rösberg Engineering, begleitete mit seinen Kollegen den Umbau über mehrere Stufen – auch bezüglich der funktionalen Sicherheit. „Es war nicht so, dass einfach eine Steuerung gegen ein neueres Modell getauscht wurde“, sagt er. „Der Umbau hatte Auswirkungen auf viele prozessnahe Komponenten. Es war im Grunde der letzte Schritt eines längeren Prozesses. Auf diesem Weg durften wir an verschiedenen Punkten mit unserem Know-how unterstützen.“

Marc Ehrentraut, Functional Safety Manager bei Rösberg Engineering: „Wir kennen uns nicht nur mit allen Aspekten des Engineerings von Projekten in der Prozessindustrie aus, sondern haben auch umfassende Erfahrung im Bereich der funktionalen Sicherheit.“ (Quelle: Rösberg)

Ein langer Weg von der Gefährdungsanalyse …

Weil mit der Migration der Anlage auch der Bestandsschutz fiel, musste sich Schwabe umfassend mit geltenden Vorgaben zur funktionalen Sicherheit auseinandersetzen. Die Automatisierungsexperten von Rösberg verfügen über weitreichende Erfahrungen bei der Projektumsetzung komplexer Systeme und können zur funktionalen Sicherheit umfassend beraten und beitragen. Weil Schwabe schon in anderen Projekten erfolgreich mit Rösberg zusammengearbeitet hatte, griffen die Durlacher auch diesmal auf die fachkundige Unterstützung des Automatisierungsexperten zurück.

Am Anfang des Projektes stand eine HAZOP-Analyse (Hazard and Operability), die als etabliertes Gefährdungsanalyseverfahren dafür steht, im Voraus möglichst viele Gefährdungspotenziale für Mensch oder Umgebung zu identifizieren. Jörg Gregor, Director Produktionsbetreuung und Elektrotechnik bei Schwabe, berichtet: „Rösberg stellte für die Durchführung der HAZOP kompetente Mitarbeiter zur Verfügung, die die notwendigen Gespräche zielführend moderierten. Hierbei brachte Rösberg aus vergleichbaren Anwendungen erhebliches Know-how ein in Bezug auf eingesetzte Techniken.“ Aus der Risikobetrachtung resultierten dann weitere Aufgaben wie die Definition aktualisierter Schutzfunktionen (SIF, Safety Instrumented Function), die Erstellung von Safetey Requirement Specifications (SRS) und der Entwurf des Safety Instrumented Systems (SIS). Auch bei den erforderlichen quantitativen Nachweisen (SIL-Berechnungen) und komplexen Prüfanweisungen begleiteten die Karsruher den Pharmahersteller.

… über das Engineering …

Nachdem alle Sicherheitsprüfungen und damit zusammenhängende Spezifikationen erstellt waren, folgte als weiterer Projektteil die Analyse des Bestandsequipments und der vorhandenen Automatisierungseinrichtungen. Ehrentraut: „Danach konnten wir relevante Maßnahmen definieren und das für die Migration notwendige Budget abschätzen. Mit diesen Daten wurde das Migrationsprojekt dann ausgeschrieben.“ Das Aufgabenspektrum umfasste das gesamte Projektmanagement und -engineering, inklusive der Unterstützung beim Entwurf der Anlagenstruktur und bei der Anfrage der Montagetätigkeiten. Auch die Erstellung von Ex-i-Nachweisen sowie die Definition und Abstimmung der komplexen Software für die Automatisierung gehörten dazu. Zudem beinhaltete es die Klärung und Erstellung der Schaltschrankbaudokumentation, das Beschaffungsengineering, die Erstellung der EMSR-Dokumentation, den FAT (Factory Acceptance Test) beim Schaltschrankbau und die Unterstützung bei der Montagekoordination.

… bis zur erfolgreichen Abnahme

Die Automatisierungssysteme wie auch die Sensor- und Aktorsysteme mussten natürlich den beim Entwicklungsprozess definierten Sicherheitsvorgaben entsprechen. Insgesamt umfasste die Migration etwa 125 Messstellen, drei zentrale Schaltschränke für Antriebstechnik und Spannungsversorgung, die S7-Steuerung und deren Nicht-Ex-i-Komponenten sowie zwei abgesetzte I/O-Kästen mit Ex-i-Signalbaugruppen und Magnetventilinseln. „Hierbei haben wir das Engineering für Hard- und Software realisiert“, so Ehrentraut. Um das SIS sinnvoll testen zu können, entwickelten er und sein Team die notwendige Testspezifikation. Außerdem unterstützten sie bei den Functional Safety Assessments und der Verifikation der einzelnen Phasen des Sicherheitslebenszyklus.

Den erfolgreichen Tests des Automatisierungssystems folgte dann die Begleitung bei der ZÜS-Abnahme. Ehrentraut erinnert sich: „Die Inbetriebnahme lief reibungslos. Hier hat sich unsere gründliche Vorarbeit bezahlt gemacht.“ Weil kein Projekt jedoch ohne eine Dokumentation abgeschlossen ist, übernahmen die Automatisierungsexperten während des gesamten Projekts auch hier das Handling und übergaben dem Betreiber am Ende eine umfangreiche Dokumentation der Anlage. Die Migration ließ sich im vorgegebenen Zeitrahmen realisieren. Gregor resümiert zudem: „Die Zusammenarbeit mit Rösberg war sehr gut, stets respektvoll und transparent.“

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