18.06.2021 – Kategorie: Digitalisierung

Digitalisierungsprojekte: „Zahlreiche Probleme kommen von innen“

PharmaindustrieQuelle: ESB Basic/Shutterstock

Andy Buchmann, Director Products & Services Life Sciences bei Cosmo Consult, hat einen klaren Blick auf die Risiken und Potenziale der Digitalisierung in der Industrie.

Die Prozessindustrie wird oft als vergleichsweise schwerfällig dargestellt. Nehmen Sie das auch so wahr? Fehlt es der Branche an Tempo bei der Digitalisierung?

Andy Buchmann: Das lässt sich pauschal nicht sagen, es gibt sehr viele agile Unternehmen, die ihre digitalen Modelle schon gefunden haben. Aber auch sehr viele, für die das noch ein böhmisches Dorf ist. Und Agilität nur für sich betrachtet, reicht ohnehin nicht aus. Auch wir mussten Unternehmensprozesse wie die Produktentwicklung dynamischer gestalten und ins agile Sprinten kommen. Es geht vor allem auch darum, das richtige Mindset zu entwickeln, um kontinuierliche Lern- und Veränderungsprozesse etablieren zu können.

Sie begleiten mit Cosmo Consult seit zwei Jahren beratend den Bereich Life Sciences. Welche Risiken und Potenziale sind Ihnen bei der Digitalisierung der Industrie am stärksten aufgefallen?

Andy Buchmann: Zunächst mal: Wir bewegen uns da in einem sehr stark regulierten Umfeld, zu dem unter anderem Bereiche wie Pharmazie, Medizintechnik, Kosmetik und Nahrungsergänzungsmittel gehören.  Der Zwang zur Einhaltung der Compliance-Anforderungen wirkt durchaus als Bremse für die Umsetzungsgeschwindigkeit der Digitalisierungsprojekte oder Umstrukturierungsprojekte. Das Beispiel der raschen Entwicklung und Zulassung neuer Impfstoffe während der Covid-19-Pandemie hat aber gezeigt, dass die Branche durchaus Geschwindigkeit aufbauen kann, wenn auch wie hier mit Rückenwind in Form von entsprechender politischer Unterstützung und Finanzspritzen von außen.

Und wie sieht es ohne Rückenwind aus?

Andy Buchmann: Einige Medizintechnikunternehmen sind bereits sehr modern aufgestellt. Gefühlt treffen wir aber immer wieder auf Unternehmen, die etwas rückständig wirken. Für diese Unternehmen besteht die Gefahr, von neuen oder besser aufgestellten Marktteilnehmern überholt zu werden. Dieses Risiko verstärkt sich jetzt weiter mit der Pandemie, in der Reaktions- und Anpassungsgeschwindigkeit wichtige Faktoren darstellen. Neben diesen marktorientierten Risiken erschweren neue regulatorische Anforderungen die Umsetzung geplanter Digitalisierungsprojekte. Das Inkrafttreten der neuen Medical Device Regulation (MDR) stellt die Unternehmen der Medizintechnik-Branche vor große, ressourcenintensive Herausforderungen und gilt als eines der größten Hemmnisse für die Realisierung neuer Digitalisierungsprojekte. Bereits gut aufgestellte Unternehmen sehen diese Herausforderungen jedoch eher als Chance zur weiteren Differenzierung und mehr Wachstum.

DigitalisierungsprojekteQuelle: Cosmo ConsultQuelle: Cosmo Consult
Andy Buchmann ist Director Products & Services Life Sciences bei Cosmo Consult.

Wo sehen Sie die Herausforderungen bei der erfolgreichen Umsetzung von Digitalisierungsprojekten?

Andy Buchmann: Zahlreiche Probleme kommen von innen: Die demografische Zusammensetzung der Belegschaft zum Beispiel. Digital Natives sind zwar oft verfügbar, aber denen fehlt meist eine ausreichende Branchen- und Prozesserfahrung. Das erfordert Geschick bei der Zusammenstellung interdisziplinärer Arbeitsteams. Die richtige personelle Konstellation ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dazu kommt, die Ziele der Digitalisierungsprojekte realistisch und richtig zu setzen und ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, wie sie zu erreichen sind. Dabei gilt als Faustregel: Komplexität reduzieren und Etappenziele setzen.

Wie können Unternehmen am besten auf die Herausforderungen reagieren?

Andy Buchmann: Da gibt es ein einfaches Rezept: Reflektieren, Erkennen und Akzeptieren, wo die effektiven Aufgabenstellungen sind. Ehrlichkeit und Offenheit sind hier gefragt. Bei der Schaffung der nötigen Transparenz helfen nicht nur diverse digitale Werkzeuge wie Data- und Process-Mining, sondern auch die direkten Gespräche mit den Fachabteilungen. Und wie gesagt: Smarte Ziele setzen und richtig priorisieren – es gibt häufig zu viele konkurrierende Projekte. Das ist wichtig, denn die benötigten Ressourcen stehen im Tagesgeschäft meist nicht ausreichend zur Verfügung. Zu hohe Komplexität und die Überforderung Einzelner kann zu Frust führen und letztlich zum Scheitern wichtiger Projekte.

Was lässt sich gegen die Überforderung der Mitarbeiter tun?

Andy Buchmann: Das ist nicht zuletzt eine Frage der Kultur und Unternehmensführung: Ein wirksames Change-Management ist dabei unerlässlich. Auch externe Impulse und eine professionelle Prozessbegleitung sind ratsam. Typische Digitalisierungsprojekte wirken auf bestehende Strukturen, Prozesse und damit verbundene Arbeitsmethoden. Das sind Bereiche, in die Menschen involviert sind. Hier muss wesentlich mehr und offener kommuniziert werden. Um das richtige Mindset für Veränderungen schaffen zu können, sind wirksames Leadership und tiefes Vertrauen nötig.

Was trägt Cosmo Consult als IT- und Beratungspartner dazu bei, dass sich eine dynamische Entwicklung fortsetzt?

Andy Buchmann: Digitalisierung ist keine Software, die sich in überschaubarer Zeit einführen lässt. Sie betrifft nicht nur die IT, sondern auch Kultur, Strategie und die gesamte Unternehmensorganisation. Wir haben uns daher in den letzten Jahren breit aufgestellt und treten heute als ganzheitlicher Digitalisierungspartner für unsere Kunden auf. Allein in der Data Science Sparte beschäftigen wir über 70 Spezialisten. Das zeigt deutlich, welchen Stellenwert wir den Themen KI und Data Analytics einräumen, um Digitalisierungspotenziale für unsere Kunden erschließen zu können. Auch den Trend „New Work“ besetzen wir unternehmensweit mit großer Expertise. Als Life-Science-Experten innerhalb der COSMO CONSULT-Gruppe haben wir unter anderem die Aufgabe, dieses breite Spektrum zu überblicken und daraus ein geeignetes Zukunftsmodell für Kunden zu entwickeln. Wir binden die dazu erforderlichen internen und externen Experten in die Projekte ein und bündeln die Kompetenzen. In der Entwicklung von geeigneten End-to-End-Szenarien ist es uns besonders wichtig, die Qualitätssicherungs- und Qualitätsmanagementperspektive mit den operativen Geschäftsprozessen tief zu verzahnen. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Jegliche qualitätsrelevanten Ereignisse werden erfasst, klassifiziert, dokumentiert und strukturiert abgearbeitet. Somit findet jede Abweichung, jede Korrektur- oder Präventivmaßnahme oder jede Reklamation ihren Weg in das QM-System, egal aus welchem Prozess oder aus welcher Datenquelle sie stammt. Die vollständige und lückenlose Rückverfolgung qualitätsrelevanter Vorkommnisse über alle Geschäftsprozesse und Systeme hinweg ist dabei die Grundidee. Aus der Erfahrung der letzten Jahre heraus wissen wir, dass diese Anforderungen von den Inspektoren genauer unter die Lupe genommen werden. Wir helfen unseren Kunden dabei „entspannter“ ins Audit zu gehen.

Von Heiner Sieger

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