17.11.2020 – Kategorie: Digitalisierung
Digitalisierung in der Pharmaindustrie: So wird die smarte Tablettenproduktion zum Erfolg

Digitalisierung in der Pharmaindustrie: Augmented Reality erhöht die Präzision der Fehlerbehebung über visuelle Zeigetools.
Schon vor Corona stand fest: Pharmahersteller müssen schnell und zuverlässig auf veränderte Produktionsbedingungen reagieren können, um zukunftsfähig zu bleiben. Die Verfügbarkeit von Arzneistoffen und deren Nachfrage können sich jederzeit ändern, was in der Corona-Krise noch einmal deutlich geworden ist. Der damit verbundene Anspruch an Agilität lässt sich am besten mithilfe von Werkzeugen realisieren, die die Digitalisierung in der Pharmaindustrie unterstützen.
Digitalisierung in der Pharmaindustrie: Wie kann sie gelingen?
Digitale Werkzeuge sind wichtige Erfolgsfaktoren für die Zukunft der Pharmaproduktion – das stand schon vor der Ausbreitung von SARS-CoV-2 fest. Corona hat die Notwendigkeit solcher Helfer noch einmal deutlich zum Vorschein gebracht. Beispielsweise ist es wichtiger denn je, ortsunabhängig Produktionsparameter im Blick zu behalten und für eine schnelle Remotewartung Live-Chats und Videokonferenzen sowie Augmented-Reality-Anwendungen für erhöhte Präzision nutzen zu können. Fette Compacting hat schon vor der Krise an mehreren digitalen Tools für die Tabletten- und Kapselproduktion gearbeitet. Nun bietet der Spezialmaschinenhersteller ein umfangreiches Set an Lösungen für die Digitalisierung in der Pharmaindustrie an.
Mit digitalen Tools die Pharmaproduktion optimieren
Zwar sind Innovationszyklen im Pharma-Maschinenbau in der Regel noch immer mehrjährig, aber diese Zeiträume verändern sich. Hierbei helfen insbesondere agile Methoden, um flexibler zu werden und Ressourcen zielgerichtet einzusetzen. Auch wenn die Hauptprozesse der Tablettierung und Kapselbefüllung auf absehbare Zeit mechanisch bleiben, werden sämtliche Begleitprozesse durch digitale Lösungen effizienter, schneller und sicherer.
Eine Kernfrage bei Fette Compacting lautet daher: Wie können digitale Tools die Pharmaproduktion optimieren? Ausgehend von den Bedürfnissen der Pharmazeuten entwickelt ein neuer Geschäftsbereich Softwarelösungen für die Fertigung von Tabletten und Kapseln. Der Fokus liegt auf der Effizienzsteigerung der gesamten Produktion, indem Bediener, Wartungstechniker und deren Vorgesetzte unterstützt sowie Daten intelligent genutzt werden.
Neue Geschäftseinheit setzt auf agile Methoden
OSDi ist der Name der neuen Geschäftseinheit – als Brücke zwischen der Herstellung oral verabreichter Medikamente (Oral Solid Dosages) und der digitalen Zukunft. Das OSDi-Team nutzt die agilen Methoden von Design Thinking und Lean-Start-up, die auch im Silicon Valley weithin etabliert sind. Diese Methoden verbindet, dass sie sich konsequent an den Anforderungen der Nutzer orientieren. Anwender werden von Anfang an in den Entwicklungsprozess einbezogen, in diesem Fall vor allem die Bediener, Instandhalter, Produktionsleiter und Qualitätsmanager im Pharmaunternehmen. Da es sich um einen iterativen Prozess handelt, können Tools vergleichsweise früh den Kunden verfügbar gemacht und dann gemeinsam mit ihnen optimiert werden.
In der Praxis erstellt das Team zunächst auf Grundlage der „Pains and Gains“ von Anwendern neue Produktskizzen. Diese werden für einen Schulterblick zurück an die Kunden gesendet. Anhand des Feedbacks erstellt die Unit in enger Abstimmung mit den Kunden einen Klick-Dummy, einen Prototyp und schließlich das fertige Tool. Die Perspektive der Kunden ist jederzeit maßgebend. Ideen mit weniger Potenzial können schnell erkannt und aussortiert werden. Das verkürzt den Entwicklungsprozess und schont Ressourcen.

Digitalisierung in der Pharmaindustrie: Expertenwissen auf Knopfdruck
Bei Fette Compacting sind auf dieser Grundlage mehrere digitale Tools entstanden. Sie setzen bereits bei einer erfolgsentscheidenden Vorstufe an: der Einarbeitung von neuem Personal. Über eine App stellen erfahrene Trainerinnen und Trainer 3D-animierte Lerninhalte zur Verfügung. Anhand von interaktiven Grafiken, Animationen und detaillierten Anweisungen können neue Mitarbeiter auf Knopfdruck den Gesamtprozess der Solidaproduktion kennenlernen. Die Lernplattform behandelt in mehreren Modulen, wie einzelne Teile der Maschine zusammengebaut und zum Beispiel vor Verschleiß geschützt werden. Nach jedem Modul müssen die Trainees einen kleinen Test absolvieren, der die Trainingsinhalte abfragt. Eine Gesamtübersicht zeigt den Lernfortschritt.
Für das praktische Einüben von Arbeitsprozessen arbeitet man an einer Reihe virtueller Trainingseinheiten. Die erste verfügbare Einheit betrifft die Vorbereitung eines Isolators zur Reinigung. Ohne die echte Containment-Maschine zu blockieren, können Mitarbeiter den Vorgang mit virtuellen Handschuheingriffen, VR-Brille und Gaming-Notebook so oft wie nötig üben. Ein Avatar und eine Checkliste begleiten den standardisierten Prozess. Wenn sich die Teilnehmer sicher fühlen, wechseln sie in den Testmodus und reinigen den Isolator ohne Anleitung. Wer den Test besteht, erhält ein Zertifikat. Spielelemente wie ein Highscore lockern das VR-Training zusätzlich auf und erhöhen die Motivation der Teilnehmenden. Die Trainings lassen sich ortsunabhängig durchführen, was gerade zu Zeiten von Corona vorteilhaft ist.

Daten ermöglichen leistungsfähige Produktion
Für die laufende Fertigung hält OSDi erste Anwendungen bereit, um eine leistungsstarke Produktion sicherzustellen. So hat das Team für einen Schnellüberblick über Maschinen an allen Standorten einen FleetManager entwickelt. Mit nur einem Blick auf ein mobiles Endgerät wird ersichtlich, welche Maschinen laufen oder stillstehen. Benutzer können ihren Maschinenpark in der App selbst anordnen und einzelne Produktionshallen oder Fertigungsstraßen in den Fokus nehmen.
Wer live auf Maschinendaten zugreifen will, ohne an eine Cloud-Lösung gebunden zu sein, kann ein spezielles Interface nutzen. Das SmartInterface ermöglicht ortsunabhängig den Zugriff auf die Echtzeit-Produktionsdaten. Dieses KPI-Dashboard bietet einen Überblick über den aktuellen Produktions- und Maschinenstatus. Die Überwachungsfunktionen können zur Aufzeichnung und zum Export aller Prozesswerte verwendet werden.
Oft genügt es noch nicht, den Status quo zu kennen. Immer wichtiger wird es zudem, frühzeitig mögliche Fehlerquellen zu erkennen. Der ConditionMonitor sammelt dafür Produktions- und Maschinendaten, harmonisiert sie und macht sie über eine sichere Cloud auf jedem Gerät sichtbar. Wartungsteams sehen über die Anwendung den Echtzeit-Zustand ihrer Maschinen und Anlagen. Ein Vergleich mit historischen Messwerten bereitet frühzeitig auf Abweichungen vor und verhindert Stillstandzeiten. Selbst Maschinen Dritter können darüber konfiguriert werden.
Digitalisierung in der Pharmaindustrie: Smart beim Troubleshooting unterstützen
Schließlich wird auch das Troubleshooting durch OSDi-Werkzeuge effizienter. Mit dem SmartGuide können Bediener häufige Fehler nach Anleitung von technischen Experten beheben. Die Anwendung läuft auf einem mobilen Gerät oder Desktop-Computer. Bilder, Animationen oder Videos informieren über den Fehler und zeigen die Lösungsschritte. Außerdem können Anwender eigene Anleitungen für ihre Maschinen, egal von welcher Marke, erstellen.
Sollte der Guide zur Fehlerbehebung noch nicht ausreichen, bietet das SmartRemote-Tool persönliche Live-Chats und Videokonferenzen mit Experten. Bediener nutzen die App auf einem mobilen Gerät und können direkt die Anweisungen der Experten an der Maschine umsetzen. Augmented Reality erhöht die Präzision der Fehlerbehebung über visuelle Zeigetools, wie etwa einen sogenannten Fingerpointer. Das Remote-Tool speichert Lösungsanleitungen in einem Kundenarchiv, sodass Anwender immer wieder darauf zugreifen können. Für die Tabletten- und Kapselproduktion bietet OSDi schon einige funktionsfähige Anwendungen. Passend zur iterativen Methode stehen noch viele weitere Entwicklungen bevor.
Interview mit Britta von Selchow von OSDi
Wir sprachen mit Britta von Selchow, Head of OSDi Digital Solutions by Fette Compacting, zur Digitalisierung in der Pharmaindustrie.
Das Team von OSDi nutzt agile Methoden von Design Thinking und Lean Start-up, die auch im Silicon Valley etabliert sind. Wie kann man sich dies vorstellen?
Britta von Selchow: Beide Methoden sorgen dafür, dass man Produkte in enger Abstimmung mit dem Kunden entwickelt. Beim Design Thinking geht man von einem real existierenden Problem des Kunden aus und tastet sich dann in der Entwicklung schrittweise vorwärts. Das OSDi-Team entwickelt einen ersten Prototypen, fragt Kunden zu deren Feedback dazu und berücksichtigt es sofort bei den folgenden Entwicklungsschritten.
Die Methode Lean Start-up basiert auf dem Prinzip Build-Measure-Learn. Mit ihr stellen wir sicher, dass wir aus jedem Versuch etwas für den folgenden Entwicklungsschritt lernen. Zum Beispiel, indem wir parallel mehrere Versionen für unterschiedliche Nutzergruppen und Anwendungsszenarien entwickeln und anschließend testen, welche Version am besten funktioniert hat. In Kombination sorgen die beiden Methoden für einen hohen Kundennutzen und ein überschaubares Risiko, weil man sich iterativ vorantastet und sich immer am tatsächlichen Kundennutzen orientiert.
Expertenwissen auf Knopfdruck – ist diese Aussage nicht zu weit gefasst oder zu allgemein?
Britta von Selchow: Expertenwissen auf Knopfdruck bedeutet deshalb für die Kunden von Fette Compacting, dass sie sich dieses Wissen nicht selbst erarbeiten müssen, sondern es vollständig, aktuell und korrekt vom ihrem Maschinenhersteller erhalten. Für die Bediener der Maschinen bedeutet es, dass sie per Smartphone, Tablet oder Desktop-PC jederzeit alles parat haben, was sie wissen müssen.
FleetManager, SmartInterface, ConditionMonitor, sind Tools, die natürlich auch von anderen Unternehmen auch angeboten werden. Was unterscheidet die Tools von OSDi Digital Solutions?
Britta von Selchow: SmartInterface ermöglicht dem Kunden direkten Zugriff auf seine Daten, ohne dass seine Maschinen dafür an die Cloud angebunden sein müssen. Nicht auf die Cloud angewiesen zu sein, ist hier der entscheidende Unterschied zu ähnlichen Angeboten auf dem Markt. Der Kunde kann innerhalb seines eigenen Produktionsnetzwerkes bleiben, aber dennoch Live-Daten der Maschinen sehen. Per VPN-Client sind diese Daten auch mobil einsehbar. SmartInterface ist also ideal für Kunden, die ihre Maschinen von der Cloud fernhalten wollen, aber nicht auf Vorteil der vernetzten Produktion verzichten möchten.
Für FleetManager und ConditionMonitor – beides Cloudanwendungen – trifft es zu, dass es ähnliche Anwendungen auf dem Markt gibt. Der Unterschied ist aber, dass Fette Compacting seine Produkte bewusst als offene Plattform anbietet, in die sich auch die Maschinen anderer Anbieter einbinden lassen. Für Tablettenpressen haben wir sichergesellt, dass alle relevanten Parameter schnell erfassbar angezeigt werden.
Für das Troubleshooting bieten sie mit dem SmartGuide ein Tool an. Ist dieses Tool speziell für die Pharmahersteller ausgelegt oder gibt es dieses auch für andere Anwendungen?
Britta von Selchow: Der SmartGuide wurde zwar für den Einsatz in der Solidaproduktion konzipiert. Er funktioniert aber als offenes System, in das sich Drittequipment von anderen Herstellern beliebig einbinden lässt. Die Kunden können über die Anwendung beliebig viele SmartGuides für jedes beliebige Equipment anlegen. Für häufige auftretende Fehler in der Tablettierung sind bereits fertige Guides vorhanden, die sich direkt nutzen und für die eigenen Anforderungen individualisieren lassen.
Die Innovationszyklen im Pharma-Maschinenbau sind in der Regel mehrjährig. Gibt es eher einen Trend zur Modularisierung oder zum Retrofitting?

Britta von Selchow: Greenfield-Projekte, bei denen neue, komplett digital vernetzte Fabriken auf der grünen Wiese entstehen, sind recht einfach digital zu gestalten, aber in der Realität eher selten. Digitalisierung in der Pharmaindustrie findet vorwiegend in Brownfield-Projekten statt, bei denen digitale Technologie auf einen bestehenden Maschinenpark trifft. Die Bestandsmaschinen sind üblicherweise sehr heterogen und unterscheiden sich stark nach Typ und Alter. Deshalb ist es wichtig, dass auch ältere Maschinen digital genutzt werden können. Nur so ist es möglich, sie alle in ein gemeinsames Netzwerk einzubinden. Fette Compacting ermöglicht das, indem wir bei unseren Maschinen auf Wunsch entsprechende Schnittstellen-Upgrades durchführen.
Lesen Sie auch: Die digitale Transformation in der Chemiebranche
Teilen Sie die Meldung „Digitalisierung in der Pharmaindustrie: So wird die smarte Tablettenproduktion zum Erfolg“ mit Ihren Kontakten: