29.11.2022 – Kategorie: Digitalisierung
Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie: Die Smart Factory auf dem Vormarsch

Schwankende Nachfrage, steigende Lieferfrequenz und höchster Sorgfaltsanspruch: Die Lebensmittelindustrie steht grundsätzlich vor großen Herausforderungen. Vielversprechende Lösungsansätze kommen aus dem Industrial Internet of Things. Wie das in der Praxis angewendet werden kann, zeigt beispielhaft am Produkt Bier ein Projekt der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe und den SmartFoodTechnology-OWL Partnern NTT DATA Business Solutions und Dr. Oetker.
Die nächste Generation der Industrie ist geprägt von drei großen Trends: Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Individualisierung. Strategisch klug handelt daher, wer diese drei strategisch miteinander verzahnt, denn sie bedingen und ermöglichen sich gegenseitig. Doch wie funktioniert das? Wie gelingt zum Beispiel die Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie?
Industrie 4.0: Die Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie
Einen historisch großen Schritt hat die Industrie inzwischen bereits vollzogen: Die Industrie 4.0 ist in der Fertigung angekommen und beschreibt die weitreichende Digitalisierung der industriellen Produktion. Maschinen, Anlagen, Abläufe und Teams sind nun vollständig miteinander vernetzt und können rund um die Uhr kommunizieren. Sämtliche Technologien, die dies ermöglichen, werden unter dem Industriellen Internet der Dinge (IIoT) zusammengefasst. Als Teil der Industrie 4.0 vereint dieses verschiedene Tools, die zum Beispiel mithilfe von Sensoren, Gateways oder Plattformen Geschäftsprozesse und Lösungen optimieren können. Künstliche Intelligenz, robotergestützte Prozessautomatisierung und Data-Analytics komplettieren die vielfältigen IoT-Anwendungen in der Fertigung. Die Potenziale entsprechender Technologien sind höchst divers: Sie ermöglichen Mitarbeitenden fundiertere Entscheidungen, lassen Prozesse effizienter gestalten und befähigen Unternehmen zu kundenspezifischeren Angeboten bei gleichbleibendem oder sogar höherem Tempo.
Eine besonders spannende IoT-Anwendung in der Fertigung ist der digitale Zwilling. Dieser ist eine virtuelle Abbildung eines realen Objekts – dabei kann es sich um einzelne Komponenten, einzelne Produkte oder sogar komplette Anlagen handeln.
Lebensmittel virtuell abbilden mit dem digitalen Zwilling
Umgesetzt wird diese Technologie beispielsweise bei der smartFoodTechnologyOWL. In einem Kooperationsprojekt im Rahmen der Innovationsallianz smartFoodTechnologyOWL entwickelt NTT DATA Business Solutions gemeinsam mit der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, Dr. Oetker und mehr als 40 weiteren Partnern innovative Lösungen für die Lebensmittelindustrie.
Mit anspruchsvollen Kunden einerseits und dynamischen Marktverhältnissen andererseits muss in der Konsumgüterindustrie flexibel und gleichzeitig höchst präzise gearbeitet werden. Politische Regularien, die Abhängigkeit von Lieferanten und angrenzenden Branchen wie Verpackung, Logistik oder Anlagenbau setzen die Rahmenbedingungen, während die Produktentwicklung und das Qualitätsmanagement mit größter Sorgfalt sicherstellen müssen, dass die Ware jederzeit höchsten Standards entspricht. Die Folgen, zum Beispiel gesundheitliche Risiken bei fehlerhaften Produkten, können fatal sein.
Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie: Von der Pizza bis zum Bier
Für eine lückenlose Qualitätsüberwachung setzt die Innovationsallianz deshalb auf den digitalen Zwilling. Ob beim Anmischen von Pizzateig oder der Herstellung von Bier-Maische – die integrierten Sensoren messen kontinuierlich Parameter wie Temperatur, Zucker- oder Stickstoffgehalt. Zusammen mit den Rohstoffinformationen der Zutaten erstellen KI-Algorithmen so das virtuelle Abbild der Lebensmittel bzw. ihrer Zwischenprodukte und geben damit Auskunft über die Eigenschaften des gewünschten Zielprodukts. Diese können dann im Rahmen der Qualitätsprüfung mit den tatsächlich ermittelten Daten abgeglichen werden. Auch das geschieht digital und automatisiert in der Cloud. Sogar die Interpretation dieses Checks kann von selbstlernenden Algorithmen ausgeführt werden. Damit stellt sich der digitale Zwilling als effiziente und ressourcenschonende Alternative zu Labortests dar.

Der digitale Maischprozess: Wie funktioniert virtuelles Bier?
Für einen konkreten Praxisfall wurde in Zusammenarbeit mit der TH Ostwestfalen-Lippe ein eigener Demonstrator gebaut, bei dem der digitale Zwilling bereits erfolgreich zum Einsatz kommt und die Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie in der Praxis getestet werden kann. Dieser Demonstrator bildet den Prozess des kontinuierlichen Bier-Maischens ab. Der aufwendige Maischprozess, der für gewöhnlich in großen Anlagen erfolgt, wird dabei zunächst in einem maßstabsgetreuen Modell für alle Beteiligten sicht- und greifbar gemacht. Beim Maischen werden Getreide und Malz mit Wasser vermischt – und mithilfe der getreideeigenen- Enzyme wird aus der Stärke Zucker gewonnen.
Schon hier werden die Zutaten virtuell kopiert und eingesehen: Welche Eigenschaften muss die Maische haben, damit dieser Prozess wie gewünscht abläuft? Entspricht sie der Qualität, die gefordert ist? Alle Daten, die zur Beantwortung dieser Fragen relevant sind, werden anhand von Sensoren generiert. Diese messen permanent, wie sich die Maische zusammensetzt. Wägezellen in den Behältern wiegen die Stoffe, der Computer kalkuliert dann gleich das Volumen sowie die Dichte der Maische. Thermometer messen die Temperatur, während ein Nahinfrarot-Spektrometer außerdem einen Fingerabdruck der organischen Verbindungen aufnimmt, aus dem ein Algorithmus dann den Verzuckerungsgrad interpretiert. Die gesammelten Daten werden anschließend interpretiert und zum digitalen Zwilling zusammengefügt.
Dieses virtuelle Abbild kann kontinuierlich mit dem tatsächlichen Produkt abgeglichen werden. Im Rahmen von Qualitätsprüfungen werden sämtliche Abweichungen der tatsächlichen mit den vorprogrammierten Werten sofort erkannt. Jegliche Informationen können außerdem gleich online in die Verfahrenstechnik zur Analyse zurückgespielt werden. Das ermöglicht den Mitarbeitenden auch eine schnelle Reaktion bzw. Korrektur.

Digitales Food-Tracking für weniger Lebensmittelverschwendung
Und was kommt nach dem digitalen Zwilling und der technologisch gestützten Qualitätsprüfung? NTT DATA Business Solutions und die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe arbeiten nun daran, die gesamte Wertschöpfungskette von Lebensmitteln digital abzubilden – von der Rohstoffentstehung bis zum ausgelieferten Endprodukt. Dieses umfassende Food-Tracking ermöglicht eine komplette Rückverfolgung der Güter und trägt damit zum Kampf gegen Lebensmittelverschwendung bei.
Technologien wie der digitale Zwilling, KI-Anwendungen und vollständig vernetzte Produktionsstätten heben die Fertigung auf ein neues Level und eröffnen völlig neue Innovationsfelder. Das Streben nach höchster Effizienz, bester Qualität und klimaschonenden Prozessen inspiriert zu neuen Ideen und kreativen Ansätzen. Forschungsallianzen wie smartFoodTechnologyOWL erweisen sich vor diesem Hintergrund als besonders vielversprechend.

Der Autor Waliuollah Ali ist Head of Center of Excellence Consumer Products bei NTT Data Business Solutions.
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