09.10.2023 – Kategorie: Digitalisierung

Digitalisierung der Supply Chain: So sieht die Zukunft aus

NachhaltigkeitQuelle: Pexel

Supply Chain Manager weltweit stehen aktuell vor der großen Herausforderung, die Konzepte ihrer Lieferketten zu überdenken und auf die Erfordernisse flexibler Krisenbewältigung einzustellen. Dieser Paradigmenwechsel gewinnt besonders in systemkritischen Branchen der Prozessindustrie wie der Wirkstoffherstellung (API) in der Pharmabranche an Bedeutung.

Digitalisierung der Supply Chain in der Praxis: In der Pharmabranche hatte der Medikamentenengpass während der Coronakrise die Abhängigkeit von China und Indien deutlich gemacht, denn ungefähr 70 Prozent der in Europa verwendeten Wirkstoffe stammen aus Ländern wie Indien und China. Vergleichbare Engpässe gibt es auch in anderen Branchen. Laut einer Studie von IBM Consulting und Celonis über zehn Branchen hinweg gaben etwas mehr als zwei Drittel der Chief Supply Chain Officer (CSCO) an, dass niedrigere Rohstoff- und Warenbestände zu Lieferengpässen und Umsatzeinbußen geführt hätten.

Die Digitalisierung der Supply Chain

Hybride Lieferketten balancieren die Vorteile globaler und regionaler Lieferketten, auch im Sinne von alternativen Bezugsquellen für Rohstoffe und Vorprodukte, unter Einbeziehung sämtlicher Vor- und Nachteile in der Beschaffung, Produktion, Logistik, Qualität und Nachhaltigkeit. Die Umstellung auf hybride Lieferketten kann eine bessere Verteilung von Ressourcen und Fähigkeiten gewährleisten, selbst in Krisenzeiten. Hybride Modelle verlangen jedoch auch ein komplexeres Supply Chain Management mit erhöhter Transparenz aller Warenflüsse und Verfügbarkeiten entlang der Lieferketten und über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg. Ohne entsprechende IT- und KI-Lösungen ist das nicht umsetzbar. Für Entscheidungsträger wird die erfolgreiche digitale Transformation der Lieferketten aus diesem Grund zu einem entscheidenden Instrument, um auch in Zukunft Wettbewerbsvorteile realisieren zu können.

Lokale Stabilität global vernetzt

Trotz ihrer Anfälligkeit für externe Disruptionen bieten globale Lieferketten weiterhin Vorteile, vor allem in Bezug auf niedrigere Beschaffungskosten und den Zugang zu strategischen Lieferanten. Bei lokalen Lieferketten wiederum wird der Preis durch die beschränkte Auswahl an Zulieferern und durch meist erhöhte Lohn- und Fertigungskosten nach oben getrieben. Unternehmen profitieren jedoch von einer größeren Flexibilität und von wesentlich kürzeren Wegen zu den Lieferanten und Konsumenten. Das erlaubt es, schnell auf Marktanforderungen und sich änderndes Kaufverhalten zu reagieren.

Es ist also unabdingbar, dass Unternehmen die globale Aufstellung ihrer Produktionskapazitäten und ihrer Distributionswege neu überdenken. Optimal wäre die Implementierung hybrider Modelle, welche die Vorteile beider Ansätze vereinen: Resilienz und (Kosten-)Effizienz. Die zentrale Idee besteht hier darin, wichtige Ressourcen und Fähigkeiten an verschiedenen Standorten zu verteilen, sodass bei Bedarf schnell und effizient umdisponiert werden kann. Es werden folglich lokale Lieferketten aufgebaut, die gemeinsam ein globales Netz bilden – ein flexibles, unternehmensübergreifendes Ökosystem.

Wie sieht ein solches Modell in der Praxis aus? Ein Pharmaunternehmen kann beispielsweise mehrere Produktionsstandorte in verschiedenen Regionen unterhalten, mit einem Hauptstandort. Die zumeist globalen Hauptstandorte sind zum Beispiel für die effiziente Produktion großer Mengen an Wirkstoffen und Endprodukten verantwortlich, während die weiteren (Back-up-)Standorte mit geringerer Auslastung agieren. Diese Standorte müssen jedoch Produktionskapazitäten und qualifizierte Mitarbeiter vorhalten, um im Bedarfsfall flexibel auf 100 Prozent hochfahren zu können. Hierbei sind die regulatorischen Rahmenbedingungen auf regionaler und lokaler Ebene sowie die bewerten Produktions-/Qualitätsrichtlinien nach GMP (Good Manufactuing Practices) zu berücksichtigen. Sobald diese „Off-Sites“ ihr Soll an der Produktion von Endprodukten für den globalen Gebrauch erfüllt haben, widmen sie sich in Zeiten geringer Auslastung der Produktion von Medikamenten für den regionalen oder lokalen Märkten. Wird die Lieferkette an einem Standort unterbrochen, kann die Produktion an einem anderen Standort hochgefahren werden. Gerade in systemkritischen Branchen wie der Pharmaindustrie ist ein solches Vorgehen sinnvoll, um flexible Lieferketten bei schwankenden Bedarfen zu gewährleisten.

Digitalisierung der Supply Chain
Durch das Multisourcing ergeben sich vermehrte technologische Schnittstellen sowie ein komplexeres Liefer- und Leistungsnetzwerk, das wiederum eine weitreichende Transparenz erfordert. Bild: Pexel

Steuerung und Sichtbarkeit durch Digitalisierung der Supply Chain

Ein derartiges Ökosystem erfordert jedoch eine komplexe Koordination und Steuerung, was sich ohne IT- und KI-Lösungen kaum realisieren lässt. Denn nicht nur die Produktionsstandorte vervielfachen sich, es erweitert sich auch das Kooperations- und Zulieferernetzwerk. Dieses Multisourcing spielt für die Resilienz der Lieferkette ebenfalls eine immer wichtigere Rolle. Dadurch ergeben sich zusätzliche technologische Schnittstellen und ein komplexeres Liefer- und Leistungsnetzwerk, das eine erhöhte und weitreichendere Transparenz erfordert, über die Unternehmensgrenzen hinaus.

Entscheidend für die effiziente Netzwerksteuerung dieses Ökosystems ist eine ganzheitliche Datentransparenz – also das Wissen darüber, wo bestimmte Assets, Ressourcen und Halbprodukte verfügbar sind und wie sie verwendet werden – sowie die Fähigkeit, Engpässe zu erkennen und Verbesserungspotenziale zeitnah auszuschöpfen. Diese Transparenz lässt sich beispielsweise durch das Aufsetzen einer intelligenten Datenplattform wie einem Supply Chain Control Tower gewährleisten. Die zentrale Plattform bietet einen umfassenden Überblick über alle Prozesse und Aktivitäten im Supply-Chain-Eco-System. Dafür werden Informationen aus verschiedenen Quellen und Applikationen wie ERP-Systemen, Planungssystemen, logistischen und externen Daten zusammengeführt und mithilfe intelligenter Algorithmen verarbeitet. Die Datenintegration und die Analysefähigkeiten des Supply Chain Control Towers schaffen die notwendige Grundlage für eine verbesserte Supply-Chain-Steuerung in komplexen Eco-Systemen.

Ein deutlicher Trend geht hier in Richtung automatisierte Planung und Self-Steering Supply Chain. Man stelle sich vor: Es gibt eine Produktlinie von Kosmetika, die häufig und in großen Mengen hergestellt werden. Die Idee ist, ein System zu implementieren, das auf einer Datenplattform aufbaut und Informationen nutzt, um vorhersehbare Produktionsbedarfe für die spezifischen Chemikalien zu ermitteln. So kann die Produktion hinsichtlich Planung und Menge auf die Bedürfnisse der Kunden und des Marktes abgestimmt werden. Der Vorteil liegt in einer synchronisierten Steuerung der Abläufe im Unternehmen, wobei sowohl Produktions- als auch Beschaffungsprozesse automatisiert abgestimmt werden. Auch Lagerbestände, Lieferungen sowie die genaue Überwachung von Transporten und Lieferungen lassen sich im Zuge dieses digitalisierten Prozesses optimieren und aufeinander abstimmen, um kontinuierliche Ablaufverbesserungen sicherzustellen und das gebundene Kapital erheblich zu reduzieren.

Diese Lösungen müssen individuell auf die Bedürfnisse und die logistischen Gegebenheiten eines Unternehmens und dessen Zulieferer abgestimmt werden. Spezialisierte Beratungsunternehmen unterstützen bei der maßgeschneiderten Systemintegration von Technologien in die bestehende Infrastruktur sowie in verschiedene Cloud- und ERP-Systeme.

Die Zukunft des Supply Chain Managements

Laut der oben erwähnten Studie erwarten 72 Prozent der CSCOs, dass die meisten Prozesse und Arbeitsabläufe in den nächsten drei bis fünf Jahren automatisiert werden. Des Weiteren planen 83 Prozent der Befragten, KI-gestütztes Echtzeit-Inventarmanagement einzuführen, während weitere 83 Prozent die Einführung selbstüberwachender und selbstkorrigierender Assets erwarten. Dies verdeutlicht den klaren Trend in Richtung verstärkte Automatisierung und KI-Einsatz im Supply Chain Management.

Die Zukunft des Supply Chain Managements liegt dabei in einer Digitalisierung der Supply Chain, einer weitgehend automatisierten, sich selbststeuernden Lieferkette, die nicht nur vordefinierte Pläne und Abläufe ausführt, sondern auch aktiv auf Veränderungen und Störungen in Echtzeit reagiert – in die CSCOs nur auf strategisch-taktischer Ebene und bei Bedarf eingreifen müssen. Eine vollständig und intelligent aufgesetzte selbststeuernde Supply Chain wäre noch reaktionsschneller und agiler im Umgang mit unvorhergesehenen Ereignissen.

Noch klingt eine durchgängige, unternehmensübergreifende Automatisierung der Supply-Chain-Steuerung wie Zukunftsmusik, aber die Weichen für eine effizientere, transparentere und widerstandsfähigere Lieferkettenstruktur werden bereits gestellt. Die Integration von Technologien wie künstlicher Intelligenz und Echtzeitdatenanalyse bietet die Möglichkeit, die gesamte Lieferkette weiter zu optimieren und auf Veränderungen proaktiv zu reagieren. Unternehmen, die diese Chancen ergreifen und sich rechtzeitig auf die neue Komplexität sowie auch Realität einstellen, werden sich langfristig eine starke Position im globalen Wettbewerb sichern können.

Die Autoren:

Digitalisierung der Supply Chain
Bild: Infosys Consulting

Ralph Eckardt ist Partner & EMEA Head of Supply Chain Management bei Infosys Consulting.

Bild: Infosys Consulting

Dr. Sven Mandewirth ist Associate Partner, Supply Chain Europa, bei Infosys Consulting.


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