07.04.2022 – Kategorie: Produktion
Digitale Zwillinge in der Prozessindustrie: So sichern sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit

Digitale Zwillinge sichern die Wettbewerbsfähigkeit. Zahlreiche Anwender in der Prozessindustrie nutzen daher PlantSight. Bart Moors von Siemens und Alistair Stubbs von Bentley Systems zeigen auf, was die gemeinsam entwickelte Lösung einzigartig macht und wie sie Kunden unterstützt, ihren digitalen Reifegrad weiter zu erhöhen.
Es treffen sich ein Betriebsleiter, ein Instandhalter, ein Anlagenplaner und der Lieferant des Leitsystems, um eine Problemstellung in einer Prozessanlage zu erörtern. Keiner musste reisen. Alle haben den besten Blick auf das Equipment der gesamten Anlage. Nicht nur während der Corona-Pandemie hat ein solches Szenario, ermöglicht durch einen digitalen Zwilling, viele Vorteile. Denn Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten zusammenzubringen, das war bis vor kurzem noch eine Herausforderung. Nun wird der gemeinsame Blick auf eine digitale Darstellung der Anlage ermöglicht, von der sich alle sicher sein können: Sie entspricht der Realität.
Der naheliegendste Zugang zum digitalen Zwilling ist das Training in virtueller Umgebung., lange bevor die Anlage in Betrieb geht. „Die Nutzung zu Schulungszwecken bringt vielen Anlagenbetreibern Mehrwert“, sagt Bart Moors, der als CEO von Comos Industry Solutions bei Siemens mit seiner Mannschaft bereits Einiges an Erfahrung mit digitalen Zwillingen sammeln konnte. Denn seit 2019 ist die gemeinsam mit Bentley Systems entwickelte Lösung PlantSight als Software as a Service verfügbar. Sie reduziert den Aufwand für den Aufbau eines vollständigen digitalen Zwillings erheblich. Die Lösung integriert und kontextualisiert Daten aus unterschiedlichsten Quellen, ist somit unabhängig und kann als offenes Ökosystem angesehen werden. Es entsteht eine „Single Source of Truth“, die Zusammenhänge transparent macht und die Darstellung von KPIs (Key Performance Indicators) erlaubt.

Mit der Realität verknüpft
Bei der Entwicklung profitierten Siemens und Bentley Systems von der Expertise des jeweils anderen. Als Spezialist für Engineering-Software kennt Bentley Systems den Bedarf der Anlagenplaner, die aus ihren 2D- und 3D-Modellen eine virtuelle Repräsentation der Anlage generieren. Alistair Stubbs, Vice President bei Bentley Systems, verdeutlicht: „Dieser digitale Zwilling muss auf dem neusten Stand gehalten werden, und zwar nicht nur das Engineering-Modell. Wichtig ist die Konnektivität mit der Realität.“ Bei der Verknüpfung mit den Real-Time-Daten kommen die Kompetenz von Siemens und die Potenziale seiner Digital-Twin-Lösung zum Tragen. Mit PlantSight verfolgen beide Unternehmen dieselbe Vision: eine konsistente Ansicht der Anlageninformationen als Grundlage für gute Entscheidungen zur Verfügung zu stellen.

Bart Moors hebt hervor, dass jeder Anwender seinen Teil beitragen muss, nicht nur im Rahmen der Herausforderung, den digitalen Zwilling stets aktuell zu halten. Er sagt: „Nötig ist der Aufbau einer Multi-Modell-Struktur.“ Die Lösung basiert auf der iTwin-Plattform und ist ein Cloud-Service, der neben P&IDs, 3D-Modellen und IoT-Daten auch Infrastruktur-Planungsdaten aus Building Information Modeling-Systemen (BIM) einbindet. „Dank des Open-Source-Ansatzes können Anwender eigene Standards nutzen, um weitere Datenquellen beizusteuern“, sagt Moors und ergänzt: „Mit PlantSight entsteht ein sogenannter Executable Digital Twin, der von Mitarbeitern aus den verschiedensten Bereichen komfortabel nutzbar ist.“

Leuchtturmprojekte in vielen Branchen
Zahlreiche Kunden haben bereits Erfahrung mit der Lösung gesammelt. Eine der Leuchtturmreferenzen bildet ein Projekt im Rahmen der Subsea-Planung eines Öl- und Gaskonzerns im Golf von Mexiko. Stubbs berichtet, dass der digitale Zwilling dort schon in der Konzeptauswahlphase genutzt wurde, um verschiedene Optionen viel früher als üblich zu bewerten. „Nach eigenen Angaben konnte der Anwender so bessere Projektergebnisse erzielen“, sagt Stubbs. Um 30 Prozent soll die Projektzeit reduziert werden. Stubbs sagt: „Da der Erfolg überzeugend ist, möchte das Unternehmen die Anwendung des digitalen Zwillings auf alle Investitionsprojekte sowie auf die Betriebsabläufe ausweiten.“
Ein herausragendes PlantSight-Projekt setzt eine Unternehmensgruppe um, die mit Anlagen für die Lebensmittelverarbeitung international führend ist. „Das Unternehmen wollte eine Plattform, um in der Designphase optimal zusammenzuarbeiten. Während des Betriebs soll sie dann dem Endnutzer einen vertieften Einblick auf seine Produktionsanlage ermöglichen und die Service-Leistungen des Maschinenbauers unterstützen“, berichtet Moors. Ganz anders gelagert war die Intention eines Bergbau-Unternehmens, das die digitale Repräsentanz für das Risikomanagement sowie die Remote-Unterstützung des Vorort-Teams nutzen und den Energie- und Wasserverbrauch optimieren wollte. Durch die Verknüpfung der digitalen Darstellung mit der „Operational Intelligence“ konnte die Strategie des Unternehmens wirkungsvoll vorangetrieben werden.
Die Kombinationsmöglichkeit von Gebäudeinformationsmanagement und Produktionsprozess ist es, was PlantSight für Pharmaunternehmen besonders wertvoll macht. Bart Moors weiß: „Die Verbindung von BIM mit den Anlagendaten ist für die Betreiber von Pharmaanlagen besonders wichtig.“ Einer der ersten Anwender in Deutschland habe anfangs digitale Zwillinge für einen bestimmten Use Case aufgebaut und sei nun dabei, weitere Anwendungsfälle zu erschließen.
Bei den aktuellen PlantSight-Anwendungen in der Chemie liegt das Augenmerk meist auf Sicherheitsaspekten und kritischen Komponenten sowie den Möglichkeiten des immersiven Trainings. Moors beobachtet jedoch, dass Nutzer weitere Anwendungsfälle ins Auge fassen, deren Umsetzung bislang als zu teuer oder nicht machbar eingeordnet wurde.
Digitale Zwillinge sichern globale Wettbewerbsfähigkeit
Ob sich Anwender dem Thema digitale Zwillinge über spezielle Use Cases oder eine übergreifende Digitalisierungsstrategie annähern, PlantSight führt alle über kurz oder lang zu einem umfassenden Ökosystem. Moors sagt: „Immer mehr Kunden in der Prozessindustrie betrachten es als Risiko, nicht in die Digitalisierung zu investieren. Und sie erkennen Software as a Service als Chance dafür.“
Sowohl Stubbs als auch Moors sind überzeugt, dass dem webbasierten digitalen Zwilling die Zukunft gehört: „Er wird zum Standard in der Prozessindustrie werden“, meinen beide. Auf ihn kann weltweit von verschiedenen Geräten aus zugegriffen werden, um auf der Basis vertrauenswürdiger, immer aktueller Daten wichtige Geschäftsentscheidungen zu treffen. Zusätzlicher Nutzen resultiert aus der Verknüpfung mit IoT- und ERP-Systemen sowie dem Einbeziehen künstlicher Intelligenz, um die Qualität der Asset-Analyse weiter zu erhöhen. Künftig wird die Modellierung und Simulation der Anlagenperformance und der Produktqualität an Bedeutung gewinnen, um zuverlässige Prognosen zu ermöglichen und die Prozessführung zu optimieren.
So werden digitale Zwillinge zum unentbehrlichen Instrument für Prozessunternehmen, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und auszubauen.

Die Autorin Madlyn Kowalczy ist Marketing Manager PlantSight bei Siemens Digital Industries.
Teilen Sie die Meldung „Digitale Zwillinge in der Prozessindustrie: So sichern sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit“ mit Ihren Kontakten: